Leonie liebte die Abende, an denen die Welt langsamer wurde. Die Sonne war gerade hinter dem Horizont verschwunden und tauchte den Himmel in warme Orangetöne. Ihre Wohnung war still, das Fenster geöffnet, und ein sanfter Sommerwind spielte mit den Gardinen. Es war friedlich. Und doch – diese Stille war heute anders. Erwartungsvoll.
Sie blickte auf ihr Handy. Keine neue Nachricht. Und trotzdem wusste sie, dass er bald da sein würde.
Tobias.
Sie hatten sich vor Monaten kennengelernt – zufällig, bei einem literarischen Abend. Zwei Fremde, die sich über Geschichten und Gedanken näherkamen. Seitdem war ihre Verbindung gewachsen. Kein lautes Verliebtsein, sondern etwas Ruhiges. Echtes. Immer, wenn er da war, schien die Zeit ein wenig langsamer zu vergehen.
Ein leises Klopfen an der Tür ließ sie aufhorchen.
Als sie öffnete, stand er da – wie immer zurückhaltend, mit einem leicht verschmitzten Lächeln, das ihr Herz schneller schlagen ließ.
„Ich hoffe, ich komme nicht zu spät“, sagte er.
„Du kommst genau richtig“, erwiderte sie sanft und ließ ihn herein.
Sie setzten sich auf das Sofa, nah beieinander, doch nicht zu nah. Zwischen ihnen lag diese besondere Spannung – nicht unangenehm, sondern wie ein unausgesprochenes Versprechen. Sie sprachen über den Tag, über das, was sie gelesen hatten, und lachten über kleine Beobachtungen. Die Welt draußen war unwichtig geworden.
Tobias blickte sie irgendwann an – lange, ruhig. Seine Augen wanderten zu ihrer Hand, die locker auf dem Kissen lag. Und dann legte er seine darauf. Kein Wort. Nur diese eine Bewegung.
Leonie spürte, wie sich ein warmer Strom durch ihren Körper zog. Ihre Gedanken waren plötzlich still. Es war, als würde alles, was sie fühlte, durch diesen einfachen Kontakt übertragen werden. Sie sah ihn an, und in seinem Blick lag so viel, was sie verstand, ohne es erklären zu müssen.
Langsam beugte er sich näher. Ihre Stirn berührte seine. Für einen Moment hielten sie einfach inne – ihre Atmung gleich, ihre Herzen nah. Dann trafen sich ihre Lippen in einem vorsichtigen, sanften Kuss. Kein hastiges Verlangen, sondern ein leiser Anfang. Ein Erspüren, ein langsames Herantasten.
Leonie spürte, wie sich etwas in ihr öffnete. Die Zurückhaltung der letzten Wochen fiel von ihr ab, als sie sich näher an ihn lehnte. Sie genoss seine Nähe, seine Wärme, seine Geduld. Es war nicht das, was sie bisher kannte. Es war ehrlicher. Zärtlicher. Echter.
Die Nacht verging in stillen Momenten. Berührungen, die mehr sagten als Worte. Blicke, die mehr bedeuteten als ganze Gespräche. Kein Druck, keine Erwartungen – nur das gegenseitige Erleben eines Gefühls, das langsam Form annahm.
Als der Morgen dämmerte, lag sie in seinen Armen, hörte seinen ruhigen Atem und fühlte sich zum ersten Mal seit Langem angekommen.
„Ich glaube, ich wollte das schon viel früher“, sagte sie leise.
„Ich auch“, flüsterte er, „aber vielleicht war es genau jetzt richtig.“