Das alte Haus am Rand der Altstadt war kaum ausgeschildert. Nur ein kleines handgemaltes Schild an der Tür: „Offenes Atelier – Eintritt frei“. Die meisten gingen vorbei. Er nicht.
Lukas trat ein. Die Luft war durchzogen von dem Geruch nach Farbe, Leinwand und altem Holz. Es war still, nur das Ticken einer Uhr in der Ecke unterbrach die Stille.
Dann sah er sie.
Sie stand mit dem Rücken zu ihm, vor einer halbfertigen Leinwand. Ihre Haare waren zu einem lockeren Knoten gewickelt, sie trug ein leichtes Baumwollhemd, das mit Farbspritzern übersät war. Ihre Arme bewegten sich ruhig, konzentriert – aber etwas in ihr hatte gespürt, dass er da war.
„Du kannst ruhig näher kommen“, sagte sie leise, ohne sich umzudrehen.
Er tat es.
Sie drehte sich langsam zu ihm um. Ihre Augen waren klar, neugierig, nicht überrascht. Als würde sie ihn erwartet haben.
„Magst du Kunst?“, fragte sie.
„Ich glaube, gerade fange ich an“, antwortete er.
Sie lächelte. Es war kein Lächeln für die Galerie. Es war ein echtes.
„Das Atelier gehört meinem Großvater. Mein Rückzugsort ist oben… Möchtest du sehen, wo ich male, wenn niemand zusieht?“
Er nickte.
Oben war es wärmer. Ein großes Fenster, durch das das Licht auf die staubige Holzdiele fiel. Skizzen, Bücher, Tücher. Ein schmaler Teppich, ein Sofa, das schon viel gesehen hatte.
Sie ließ sich nieder, schlug die Beine übereinander. „Manchmal ist der Abstand zwischen Kunst und Intimität sehr klein.“
Er setzte sich zu ihr. Die Luft war dicht, aber nicht schwer. Sie sah ihn an, nicht prüfend, nicht fordernd. Einfach da.
Dann griff sie nach seiner Hand. Führte sie langsam über ihre eigenen Finger, dann über ihren Arm – als würde sie ihm zeigen, wie sie fühlt. Als ob sein Berühren Teil ihrer Sprache wurde.
Es folgte kein hastiger Moment. Alles war leise. Ihre Körper fanden sich wie zwei Farben, die nebeneinander fließen. Keine Eile, kein Zwang. Nur Wärme, Nähe, Atem.
Er berührte sie wie ein Pinsel eine Leinwand – langsam, ehrfürchtig. Sie schloss die Augen, als wäre sie in einem anderen Raum. Ihre Küsse waren still, weich, tief. Alles war aufgeladen, aber kontrolliert.
Als sie sich später voneinander lösten, war da keine Scham. Nur dieses unausgesprochene Wissen, dass manche Momente bleiben – auch wenn niemand darüber spricht.